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1. Vorannahmen und Zielsetzung der Arbeit

Hier soll mit den begrifflichen und theoretischen Mitteln der Luhmannschen Systemtheorie das Internet als soziales Phänomen soziologisch erfaßt werden. Hinter der Wahl des Internets als Gegenstand steht die Überzeugung, daß jenes mehr ist, als nur ein Modephänomen, und auch mehr - und das soll hier begründet werden - als eine innovative neue Technologie, deren gesellschaftliche Bedeutung sich in einer begrenzten Tauglichkeit zur Lösung spezifischer technischer Probleme erschöpft. Vielmehr sehe ich im Internet die erste Ausprägung eines nahezu universellen technischen Kommunikationsmediums, das niedrige Zugangsschwellen,1 gegen null gehende Übertragungskosten2 und globale Verfügbarkeit auszeichnen. Der hier betrachtete Zustand des Internets (beginnende Kommerzialisierung)3 stellt m.E. die Folge einer Art sozialen Laborexperimentes über die Nutzung und Ausprägung der Kommunikationstechnologie der Zukunft dar, und welcher Bedeutung dieser Technologie beigemessen wird, läßt u.a. der Diskurs über die ,,Informationsgesellschaft"4 erahnen.

Die Entscheidung für die Verwendung der Theorie sozialer Systeme von Niklas Luhmann gründet sich auf folgende Vorannahmen:

- Das Internet existiert zwar aufgrund von technischen Errungenschaften, aber seine Verbreitung, Ausprägung und Bedeutung beruht in einem Maße auf Kommunikation, daß es angemessen erscheint, bei seiner soziologischen Betrachtung den Fokus auf Kommunikation zu richten.

- Die Luhmannsche Systemtheorie betrachtet Gesellschaft als ein Kommunikations-Phänomen. Sie blendet folglich alles, was nicht Kommunikation ist (Individuum, Bewußtsein, Technik, Raum usw.) aus, bzw. nimmt es nur wahr, sofern es kommunikativ konstruiert wird. Das ermöglicht bei ihrer Anwendung eine hohe Trennschärfe, es erleichtert uns die Unterscheidung, was am Gegenstand Internet soziologisch relevant ist.

- Das Internet als technisches Kommunikationsmedium (,,Verbreitungsmedium" bei Luhmann) beschleunigt und vermehrt Kommunikation nicht nur, sondern verdichtet sie auch: ein großer Teil der im Internet stattfindenden Kommunikationen schließt an vorausgehende Internet-Kommunikationen an und stößt weitere an. Bei Luhmann bewirkt die Zuspitzung dieser Verdichtung die Ausdifferenzierung von autopoietischen sozialen Systemen, in denen sich Kommunikationen immer an systeminterne Kommunikationen anschließen. Diese Überlegung führt zur Frage, ob und unter Voraussetzung welcher Unterscheidungen das Autopoiesis-Konzept auf Kommunikation via Internet anwendbar ist, wo und wie sich soziale Systeme des Internets bedienen. Die hier versuchte systemtheoretische Modellierung des Internets sollte dann neue Anhaltspunkte für die Bewertung und Einordnung des sozialen Phänomens Internet aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive bieten.

Die das weitere Vorgehen bestimmende Leitfrage lautet also: Lassen sich auf Internet-gestützter Kommunikation basierende soziale Systeme identifizieren und welche theoriegeleiteten Aussagen lassen sich über sie treffen?

Für die Beantwortung dieser Frage ist es dabei zunächst nötig, eine sehr verkürzte Darstellung5 der Luhmannschen Systemtheorie vorauszuschicken, in der ich speziell auf das Funktionssystem Massenmedien eingehen möchte. Dem Internet möchte ich mich dann aus der Vogelperspektive nähern. Es soll zuerst geklärt werden, daß das Internet selbst nicht sinnvoll als soziales System begreifbar ist. Der Fokus wird dann leicht verengt und richtet sich auf das World Wide Web als prominentesten Internetdienst mit den größten Zuwachsraten, und auch hier eine Betrachtung als soziales System nicht begründen. Ein weiterer weitverbreiteter Internetdienst dagegen erfüllt viele der dafür nötigen Voraussetzungen: Der Rest der Arbeit versucht eine systemtheoretische Erfassung der im USENET (auch ,,Netnews" genannt) ablaufenden sozialen Prozesse.


1 Dies gilt natürlich nur im Vergleich zu traditionellen Verbreitungsmedien, wie Buchdruck oder Rundfunk und bezieht sich insbesondere auch auf den Zugang zur Mitwirkung. Zweifellos stellt derzeit ein Internetzugang noch hohe Anforderungen an die technische Kompetenz des Anwenders und setzt den Besitz oder Erwerb eines leistungsfähigen PCs voraus.

2 Bezahlt wird oft nur für den Zugang, ansonsten für die Nutzungsdauer, aber nicht nach der Menge der übertragenen Daten; und die Übertragungsgeschwindigkeit wächst mit dem Tempo des technischen Fortschritts im Netzwerk- und im dafür arbeitenden Teil des Telekommunikationsbereiches, so daß immer mehr die Zeitanteile überwiegen, in denen der Nutzer handelt, aufnimmt oder reflektiert und die Netzverbindung brachliegt (sie ist ,,idle").

3 Im Jahr 1996 scheint das Internet zwar bereits vom marktschreierisch verkündeten Einzug der Wirtschaft dominiert zu sein, ist aber jenseits des medialen und politischen Hype immer noch geprägt vom Einfluß der langjährigen Aneignung und Nutzbarmachung durch die Wissenschaften und durch das wachsende Engagement der Hobbyisten.

4 Auf das weite Spektrum dieses Diskurses deutet beispielsweise folgender Tagungsband hin: Bulmahn, Edelgard u.a. (Hg.): Informationsgesellschaft - Medien - Demokratie. Kritik - Positionen - Visionen. Marburg 1996.

5 Eine umfassende Einführung in die Theorie sozialer Systeme kann ich hier natürlich nicht leisten. Der interessierte Leser sei deshalb auf folgende Arbeiten verwiesen: Fuchs, Peter: Niklas Luhmann - beobachtet. Eine Einführung in die Systemtheorie. Opladen 1992 (sehr erfrischend und verständnisfördernd) und Kiss, Gabor: Grundzüge und Entwicklung der Luhmann´schen Systemtheorie. Stuttgart 1990.

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Steff Huber